Stereotypen, Fremdbilder und struktureller Rassismus - und wie ich versuche, Sensibilität im Umgang damit zu zeigen.

Wenn man sich mit Kinderbüchern auseinandersetzt, kommt man um folgende Vorwürfe nicht herum: zu wenig Identifikationsmöglichkeiten für Migrationskinder in den neueren Erscheinungen, offener oder versteckter Rassismus in den Klassikern - dass zum Beispiel die Darstellung des Fremden in Michael Endes Jim Knopf nicht gerade über alle Zweifel erhalten ist, fällt wohl jedem einigermassen weltoffenen (Vor-)Leser auf.

So habe ich mich vor kurzem mit dem Kleinen Gespenst beschäftigt und bin ob folgendem Inhalt doch etwas stutzig geworden: als es das Gespenst zum ersten Mal schafft, zur rechten Zeit aufzustehen, um das Tageslicht zu sehen, wird es in der prallen Sonne innert kürzester Zeit rabenschwarz und weint im Anschluss bitterlich darüber, dass es seine schöne, weisse Färbung verloren hat. An dieser Stelle habe ich die Lektüre unterbrochen. Nicht, weil ich es nicht mehr ausgehalten hätte, sondern weil sich meine Kinder für die folgenden Kapitel nicht mehr interessierten.

Selbstverständlich scheint das etwas trivial im Vergleich zu anderen, offensichtlicheren Formen von Rassismus und ich sollte mich wohl nicht zu stark darüber aufregen. Schliesslich versuche ich, als Ausgleich meinen Kindern einen offenen, vorurteilsfreien Umgang mit allen Menschen vorzuleben und glaube, dass mir das ganz gut gelingt, sodass von solchen Schilderungen hoffentlich nicht allzu viel haften bleibt.

Und dann, ein paar Tage später, das: Meine Tochter macht völlig ohne Zusammenhang die Bemerkung, dass doch die meisten Afrikaner ziemlich reich seien. Statt mich mit ihr darüber zu unterhalten, wie sie darauf kommt, korrigiere ich intuitiv: in Afrika wären die meisten Menschen eher arm, weil zu wenig Arbeit usw. Und meine es gut damit. Als ich später darüber nachdenke, kommt mir zudem in den Sinn, dass ich während einer Aufsatzbesprechung zum Thema “Gemeinsame Zukunft in einer zerrissenen Welt” (so ungefähr lautete das WEF-Motto 2018) einem Lernenden den Hinweis gegeben habe, dass die Schweiz wohl kein repräsentatives (und deshalb kein gelungenes) Beispiel für dieses Thema wäre, da wir ja ausserordentlich gebildet, wohlhabend, umweltbewusst, sozial (…) wären. Ich schäme mich etwas.

Bin ich deswegen eine Rassistin? Sicher nicht. Aber es scheinen genau diese subtilen Formen von zum Teil strukturellem Rassismus zu sein, die in den letzten Jahren (Jahrzehnten?) wohl zugenommen haben, und, weil sie nicht ganz so laut schreien, zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Zumindest beklagen sich Betroffene darüber, sei das Reni Eddo-Lodge in ihrem viral gegangenen Blogbeitrag oder seien es französische Schauspielerinnen, die in Cannes dagegen protestieren, dass sie nur Rollen erhielten, die gewisse Stereotypen bedienen.

Natürlich beruhen meine Aussagen im 4. Absatz zum Teil auf Vorurteilen, zum Teil aber auch auf eigenen Erfahrungen. Als wir letztes Jahr Urlaub in Südafrika machten, war im Mietpreis des Ferienhauses am Meer auch gleich eine Hausangestellte inklusive. Nachdem wir uns daran gewöhnt hatten, haben wir uns ab und an auch mit Grace über ihre Probleme und die ihrer Familie und Freunde unterhalten.

Grace hat verhältnismässig sicher gut verdient. Wenn ihr ihre Arbeitgeberin aber verbietet, ihr Ein-Zimmer-Appartement auf dem Grundstück zu heizen, wenn sie in den kälteren Monaten auch arbeiten kann, und sich Grace nicht dagegen wehren will, aus Angst, ihren Job zu verlieren, so bleibt das natürlich haften und hinterlässt bei mir Ohnmachtsgefühle. Und trotzdem hat sich Grace wohl am meisten an den Kindern erfreut, die noch nichts von der Apartheid und deren Folgen wissen und deshalb am wenigsten Berührungsängste gezeigt haben.

Was nun? Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als noch ein bisschen aufmerksamer zu sein, in der Hoffnung, dass es diese Aufmerksamkeit in den kommenden Generationen nicht mehr brauchen wird - und wenn doch, dass sie nicht verloren geht. Und vielleicht denke ich bim nächsten Mal daran, dass ich meine Tochter gescheiter fragen würde, was sie den mit Reichtum meine, und welchen Eindruck sie auf unserer Reise erhalten habe. Damit auch sie sich ernsthaft damit auseinandersetzen kann.